Die Europawahl 2019 stand unter dem Einfluss umwelt- und nachhaltigkeitspolitischer Debatten. Die Dringlichkeit dieses Themenkomplexes manifestierte sich endgültig im Europäischen Grünen Deal (EGD), der am 11. Dezember 2019 von der neu gewählten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als erstem, konkreten Projekt vorgestellt wurde. Ziel ist, bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent mit null Treibhausgasemission zu werden. Dieser drastische Reduktionsplan bringt entsprechend signifikante Auswirkungen für Industrie und Handel mit sich.
Bereits im Januar 2020 veröffentlichte die EU-Kommission eine von ihr zuvor in Auftrag gegebene Studie, die unter anderem die Auswirkungen des geplanten Lieferkettengesetzes auf kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) analysierte. Darin wird die besondere Belastung für KMUs grundsätzlich anerkannt. Es gebe zwar auch hier im Bereich Nachhaltigkeit und Menschenrechte berechtigte Interessen der Öffentlichkeit auf Transparenz, doch dies dürfe nicht zu einer Überforderung von Betrieben, gerade solcher mit langen und komplexen Lieferketten, führen.
EU-Kommission uneins über KMUs
Gestützt auf diese Studie initiierte die EU-Kommission unter Federführung des EU-Justizkommissars Didier Reynders (RENEW, BE) den Prozess der Folgenabschätzung. Dieser dauerte rund ein Jahr, wurde im Mai 2021 jedoch vom Ausschuss für Regulierungskontrolle zunächst gestoppt. Dieses Gremium ist ein Organ innerhalb der EU-Kommission, das die Qualität der Gesetzesvorhaben frühzeitig überprüfen soll. Der Ausschuss gab dem Rechtsprozess ein deutlich negatives Urteil. Konkret kritisiert er drei Punkte: Die Folgenabschätzung sei zu vage gehalten, es gebe nur eine sehr limitierte Anzahl von Handlungsoptionen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werde nicht hinreichend gewahrt, worunter auch eine zu hohe Belastung der KMUs fällt.
Die EU-Kommission musste entsprechend nacharbeiten. Die Ziele von Reynders galten als zu ambitioniert, weshalb nun Binnenmarktkommissar Thierry Breton (parteilos, FR) und die für Werte und Transparenz zuständige Kommissarin Vera Jourová (RENEW, CZ) intern eingebunden wurden, um die Praktikabilität der Vorschläge zu evaluieren. Ein zunächst anvisierter Termin im Oktober konnte aber wegen Streitigkeiten innerhalb der EU-Kommission ebenfalls nicht eingehalten werden. Den 8. Dezember 2021 als nun dritten Termin stoppte dann abermals der Ausschuss für Regulierungskontrolle. Die EU-Kommission selbst betonte zwar, dass „die Vorbereitungen für diesen Vorschlag in vollem Gange sind“, es scheint aber immer noch interne Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Anwendungsbereiches zu geben, ab welchem Punkt in der Lieferkette und ab welcher Firmengröße die Richtlinie tatsächliche Berichtspflichten (zum Beispiel für Direktoren, Prüfungsausschüsse, Wirtschaftsprüfer usw.) mit sich bringen soll. Zu Redaktionsschluss (Dezember 2021) hieß es aus Insiderkreisen, dass beim Entwurf der EU-Kommission nun mittlere Betriebe von gezielten Reportingpflichten zu ihren Lieferketten betroffen seien und kleinere Betriebe ganz ausgenommen werden könnten. Allerdings seien für börsennotierte KMUs weitreichendere Berichtspflichten als für nicht-börsennotierte Betriebe dieser Größenklasse zu erwarten.
Stimmungslage im EU-Parlament
Klar für eine Verschärfung der Regularien sprechen sich im Europaparlament insbesondere die Sozialdemokraten aus, die 2020 dem BMWi noch eine Verzögerungstaktik im Europäischen Rat vorgeworfen hatten, sowie die Grünen. Bei der europäischen Volkspartei (EVP) zeigten sich aber mehrere Abgeordnete skeptisch. So erklärte der rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Axel Voss (CDU), dass es das Ziel der EVP sei „sinnlose Bürokratie durch die umfangreiche Nachverfolgung von Wertschöpfungsketten, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen, zu verhindern“.
Die Mitgliedsstaaten – Vorreiter, Zögerer und enttäuschte Wartende
Während sich der Gesetzentwurf auf europäischer Ebene noch in der Warteschleife befindet, ergreifen immer mehr Staaten nun selbst die Initiative. So wurde in Deutschland ein nationales Lieferkettengesetz auf Bundesebene mit einer Einigung von CDU/CSU und SPD beschlossen, das die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Katja Mast, zum „härtesten Lieferkettengesetz der EU“ erklärte. In Frankreich gibt es erste Ansätze einer Debatte zu dem Thema im aufkommenden Präsidentschaftswahlkampf, wobei die derzeitigen Träger des Diskurses eher NGOs, Wissenschaftler und Juristen sind und weniger Politiker. Bezugspunkt ist auch eher das deutsche Gesetz und weniger die EU-Ebene. In den Niederlanden zeigte sich Handels- und Entwicklungsminister Tom de Brujin (D66) enttäuscht über die Verzögerungen auf EU-Ebene und kündigte ein eigenes Gesetz an. Selbiges wird derzeit in der Regierungskoalition in Belgien diskutiert.
Weiteres Vorgehen und Positionierung des ZVO
Nach aktuellem Stand wird die EU-Kommission ihren Richtlinienvorschlag voraussichtlich am 30. März 2022 verabschieden. Anschließend beginnt das ordentliche Gesetzgebungsverfahren, das in der Regel 18 bis 24 Monate dauert und bei dem der Kommissionsvorschlag seitens des EU-Parlaments und des Rates unweigerlich einige Änderungen durchlaufen wird. Bei kontroversen Dossiers können sich die Verhandlungen auch weiter hinziehen. Zu beachten ist jedoch, dass im Mai 2024 bereits die nächste Europawahl ansteht, weshalb ein Abschluss vor diesem Termin angestrebt werden wird.
Nach einer Einigung zwischen den EU-Institutionen erfolgt dann die Veröffentlichung im Amtsblatt der EU. Ab dem Inkrafttreten des Gesetzes gelten in der Regel Übergangszeiten, damit sich Betriebe auf die neuen Vorgaben entsprechend vorbereiten können. Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass die neuen Vorgaben ab 2025 greifen dürften.
Zuvor und entlang des gesamten Prozesses werden der ZVO und seine europäischen Partner die Interessen der Galvanikbranche weiterhin mit Nachdruck vertreten. Hierfür steht der Verband bereits mit dem europäischen Dachverband kleiner und mittelständischer Unternehmen, SMEunited, in engem Austausch.
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